Der Hochzeitstag im Leben von Anja T.


Gefragt hatte mich Luca irgendwann während Weihnachten 2005. Die Gäste waren gegangen, wir hatten aufgeräumt, die Stimmung war immer noch festlich und wir sassen auf dem Sofa. Plötzlich murmelte Luca, er komme gleich wieder und ging raus. Dann, als er zurückkehrte, mit den Händen hinter dem Rücken, war er anders. Ich merkte sofort, dass er etwas Besonderes vor hat und freute mich schon auf eine schöne Verführung. Aber dann? Da kniete er sich doch tatsächlich vor mich hin! Auf einmal hatte er Tränen in seinen Augen. Und er ist nicht die Sorte Mann, die nahe am Wasser gebaut ist. Als Luca dann eine kleine Schatulle hinter seinem Rücken hervor nahm, begann es mir langsam zu dämmern. Und dann öffnete er die Schatulle, ein wunderschöner Ring glitzerte mich an und er machte mir das schönste Liebesgeständnis, das ich je gehört habe. Ich kann mich nicht mehr im Detail erinnern. Er begann zu weinen, ich natürlich auch. Bis er sich dann ein Herz fasste und mit klarer, deutlicher Stimme den Satz sprach: "Meine geliebte Anja, möchtest Du meine Frau werden?"
O Gott, ich war so gerührt, es löste sich plötzlich alles auf. Ich habe vermutlich wie ein Schlosshund geheult und nur noch Ja, Ja, Ja gestammelt.

Etwas Kitsch muss sein
Das ist nun eine Weile her. Seit diesem Tag war dann das Thema Hochzeit omnipräsent. Vermutlich haben wir alle genervt damit, aber was solls, man heiratet schliesslich nur einmal. Hoffe ich wenigstens. Bei den Vorbereitungen gab es nur ganz selten Zoff. Aber das gehört ja dazu. Schliesslich geht es bei beiden um sehr viel. Ich glaubte immer daran, dass die Hochzeit eine Beziehung definitiv verändern wird. Heute weiss ich, dass es so ist. Bei uns hat einfach alles gestimmt. Wir sind nach der Hochzeit und der ersten Gewöhnungsphase noch intensiver zusammen gerückt. Ein Leben ohne Luca? Unmöglich. Da könnten wir arbeits- und obdachlos werden und unter einer Brücke schlafen müssen, egal, solange Luca und ich zusammen sind. Das klingt jetzt vielleicht etwas kitschig... Aber es wird noch kitschiger.

Also, die Vorbereitungen. Sie sind eigentlich nicht so spannend. Wir waren uns

einig: Schönes Fest, viele Leute, kirchliche Trauung als Höhepunkt, das war uns beiden sehr wichtig. Wir sind nicht speziell religiös, aber wir wissen, wo wir hingehören und wem wir unsere Existenz zu verdanken haben. Die Hochzeit sollte im Juni 2006 stattfinden. Unsere Traupaten übernahmen das ganze Organisieren, die machten das richtig gut. überhaupt klappte eigentlich so ziemlich alles. Ausser das mit der Torte, ja.

Der grosse Tag
Den Hochzeitstag selber habe ich wie benommen erlebt. Es passierte so unglaublich viel, bereits um sechs Uhr in der Früh kam meine Stylistin und Friseuse! Das war in der Hotelsuite in Luzern. Luca übernachtete natürlich nicht bei mir. Er habe mit seinen Freunden einen entspannten Polterabend verbracht, ohne Stripteasetänzerin, ohne Alkoholexzess, ohne Schlägerei... Vermutlich sind wir einfach schon ein bisschen zu normal für solche Abenteuer. Auf jeden Fall erinnere ich mich gut, wie dann am Samstagmorgen vor der Trauung immer mehr Leute in die Suite kamen. Meine Stylistin war der Fels in der Brandung. Sogar meine Eltern waren hypernervös...

Mein Mami fragte immer wieder, hast du dies, hast du das, kommt die Torte? Das war wie ein Mantra. Zwischendurch gab es oft Momente, in denen ich bei vollem Bewusstsein abtauchte. Aus der Ferne beobachtete ich den Hühnerstall um mich herum, fragte mich, warum ich eigentlich überhaupt nicht nervös bin, oder ich dachte an Luca. Ich weiss noch gut, dass ich immer wieder an unsere bevorstehende Hochzeitsnacht dachte. Ich meine, wir waren seit vier Jahren zusammen, da liegt die erste Leidenschaftsphase schon länger zurück. Trotzdem wünschte ich mir, dass wir diesen besonderen Tag gemeinsam im Bett beenden würden. Und damit meine ich nicht lesend. Später sagte mir Luca, dass es ihm auch so gegangen sei, dass er die gleichen Gedanken gehabt hätte. Er sei sogar etwas nervös geworden, aus Angst, er könnte es dann nicht bringen. Die Angst war jedenfalls unbegründet...

Die Kirche wartet
Etwas, was mir noch heute völlig schleierhaft ist, ist das Thema mit dem richtigen Timing. Wir haben alles bis ins Detail geplant.
Aufstehen, Frisur, ankleiden, erstes Make-up, Eintreffen der Familien, kurze Entspannung im Hotelzimmer vor der Abfahrt, Fahrt zur Kirche, 15 Minuten Pufferzone, falls etwas mit dem Verkehr sein sollte, etc.
Und trotzdem: Es wurde ein Stress. Um 14 Uhr sollte die Trauungszeremonie in der Jesuitenkirche beginnen. Am selben Wochenende fand in Luzern ein grosses Musikfest statt. Ergebnis: Verkehr, viel Verkehr, keine Parkplätze und vor der Jesuitenkirche, die ja direkt im Zentrum an der Reuss liegt, gabs praktisch kein Durchkommen mehr. Wie auch immer wir es geschafft hatten, auf jeden Fall wurde es zeitlich sehr eng. Wir wollten um ca. 13:15 Uhr losfahren, berechneten grosszügig eine halbe Stunde für einen Weg, den man auch in einer Viertelstunde absolvieren kann und planten wie bereits erwähnt 15 Minuten Restzeit vor der Kirche ein. Es kam anders. Mein Mami fragte mich noch einmal, ob ich dies und das habe und ob die Torte denn nun eigentlich langsam komme. Dann packte mein Vater sie, bevor sie anfing zu weinen. Trotz stundenlanger Vorbereitung war meine Make-up noch nicht fertig, ich musste noch meine Strümpfe anziehen, was gar nicht so einfach war, bei dem Kleid, und dann wollte das Hütchen mit dem Schleier einfach nicht richtig sitzen. Es war wie verhext. Um kurz nach halb zwei fuhren wir schliesslich los. Und zwar direkt ins Chaos des Musikfestivals, wie mir schien. Es dauerte zwar weniger lang als geplant, nämlich ziemlich genau 25 Minuten, aber damit war es trotzdem fast 14 Uhr. Ich wollte nicht zu spät kommen, nicht ich und nicht an meine Hochzeit! Ausserdem war geplant, dass uns der Fahrer unserer pompösen Geländewagen-Limousine etwas von der Kirche entfernt aussteigen lässt und wir die restlichen 150 Meter bis zum Ziel zu Fuss zurücklegen würden. Aber das war aussichtslos: Auf dem grossen Platz vor der Jesuitenkirche war ein derartiges Gewusel von Menschen, dass es vermutlich eine Viertelstunde gedauert hätte, bis wir Mädels das Kirchportal erreicht hätten. Und ausserdem wagte ich gar nicht daran zu denken, was alles mit meinem Kleid passieren könnte auf dem Weg durch die Menschenmenge. Zigaretten rauchende, aus Pappbechern Bier trinkende und schwitzende Menschen versperrten mir den Weg zu meinem Luca. Ich wurde ganz plötzlich sehr nervös. Meine Trauzeugin Natalie behauptet heute sogar, ich sei kurz vor einem Nervenzusammenbruch gewesen. An solche Details kann ich mich nicht erinnern. Wir entschieden uns dann, direkt mit der riesigen Limousine durch die Menge zu fahren! Vollkommen verrückt. Aber die Rechnung ging zum Glück auf. Das Schweizer Fernsehen hatte nämlich Kameras rund um die grosse Bühne vis-à-vis vom Kirchenportal aufgestellt. Das Musikfest sollte aufgezeichnet werden. Das sah also ein bisschen nach Hollywood aus, all diese Fernseh-Menschen und Kabelträger und Kameraassistenten. Wie wir nun mit unserer protzigen Jeep-Limousine (oder wie immer das Ding hiess) langsam auf die Menge zu rollten, tat sich auf wundersame Weise eine Gasse auf. So muss sich Moses gefühlt haben, damals, als er das Meer teilte. Die Leute machten einen Schritt zur Seite und liessen uns ohne Murren durch, im Gegenteil, sie guckten neugierig ins Innere der Limousine. Vermutlich dachten sie einfach, wir seien die Stars, die zum Fernsehen gehörten und auf die Bühne wollten...

Der Altar rückt nur langsam näher
Vier Minuten nach 14 Uhr standen wir vor dem Eingang: Mein Vater, der mich zum Altar führte, meine Stylistin, meine Trauzeugin Natalie und meine Freundinnen mit den Körbchen voller Rosenblüten. Sie würden mir vorausgehen und meinen Weg durch das Kirchenschiff verschönern.
Dann kam Natalies Partner (der der Trauzeuge war) zum wiederholten Mal zu uns raus und fragte, um Gelassenheit bemüht, wie lange wir noch bräuchten. Zwei Wochen!, wollte ich antworten, aber mein Vater kam mir zuvor. Wir seien bereit, der Organist solle ruhig loslegen.
Und dann: Der Hochzeitsmarsch. Wir hatten uns für Mendelssohn-Bartholdys Version entschieden. Sie schien uns etwas zupackender. Jetzt kam es mir vor, als würde die ganze Kirche beben. Die Tür ging auf, zuerst war alles dunkel, jemand stiess mich sanft in den Rücken und ich begann zu gehen. Ich kann nur sagen: Zum Glück war mein Vater neben mir! Er stützte und begleitete mich sicher durch die vollen Reihen in dieser unglaublich schönen Barockkirche.
Alle Menschen, vielleicht an die 300, schauten zu mir. Ich wusste nicht wohin mit dem Blick. Immer nur gerade aus auf die Blumenmädchen! In weiter Ferne, so kam es mir vor, entdeckte ich Luca. Mein Luca, der Mann meines Lebens. Ich spürte, wie sich mein Hals zusammenzog, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, ich dachte, nicht jetzt schon, aber es half nichts. Ich versuchte mir unbemerkt, die Tränen wegzuwischen, verhedderte mich dabei allerdings irgendwie mit meinen Beinen und wäre vermutlich hingefallen, wenn mich mein Vater, unbemerkt vom Publikum, nicht noch kräftiger gestützt hätte. Kann sein, dass ich mir das heute auch so einbilde. Der Weg zum Altar kam mir auf jeden Fall ewig vor.
Als wir dann endlich Luca erreichten und mein Vater mich, seine Tochter seinem zukünftigen Schwiegersohn übergab, da hatte ich mich wieder im Griff. Ich konnte Luca sogar zulächeln und diesmal war er es, dem die Tränen in den Augen standen.
Kunststück, er sah mich ja auch erst jetzt zum ersten Mal in meinem Brautkleid. Und es war ein sehr schönes. Auch er sah grossartig aus in seinem tiefblauen Hochzeitsfrack. Ein Edelmann, mein Prinz. Dann musste ich auch wieder heulen.

Die Hochzeitsfeier dauerte eine gute Stunde. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich zwischendurch dachte, wann es endlich fertig ist. Nicht weil ich es nicht mochte, ganz im Gegenteil. Aber ich hatte urplötzlich das unbändige Bedürfnis, mit Luca und all unseren Liebsten hinaus vor die Kirche zu treten, laut zu schreien von allen umarmt zu werden und dann endlich ein grosses Glas Champagner zu trinken - und Party zu machen.

Engelsstimmen aus dem Himmel
Was sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat: Das glänzende Licht, das aus den hohen farbigen Kirchfenstern in den eher dunklen Altarraum floss. Die feierliche Orgelmusik, die mir sonst nicht so gefällt, die mir aber in diesem Moment vorkam, wie wenn sich der Himmel öffnete und von überall her Stimmen und Töne sanft auf uns nieder rieselten. Es war, als ob die Engel singen würden. Dann erinnere ich mich gut an den Priester, der in stoischer Gelassenheit und dank seiner langjährigen Erfahrung in grosser Würde die Trauung vollzog. Und natürlich an den Moment aller Momente als die Frage kam: Anja, möchtest du diesen Mann heiraten. Oder wie auch immer die Frage genau lautete.
In diesem so lange ersehnten Augenblick war ich völlig klar. Ich nahm die Spannung hinter mir in den Zuschauerbänken war, ich hörte, wie der Fotograf seine Bilder knipste, und ich war von alle dem nicht abgelenkt. Ich war ruhig. Ich blickte vom Pfarrer zu Luca an meiner Seite. Wir schauten uns in die Augen. Ich merkte, dass auch er in diesem Moment überhaupt nicht mehr aufgeregt war. Keine Tränen, kein Hyperventilieren. Ich sah den dunkelbraunen Fleck in Lucas braunen Augen, ich flog in die Tiefe seines strahlenden Blicks, ich fühlte mich leicht.
Ich sagte Ja. Er sagte Ja. Wir küssten uns.
Trari-Trara, dann verliessen wir die Kirche, die Sonne empfing uns und die Menschen draussen klatschten. vermutlich dachten Sie, wir wären Brad Pitt und Angelina Jolie und deshalb seien all die Kameras vom Fernsehen gekommen...

Wo ist die Torte?
Ich glaube, etwa 30 Minuten nach der Trauung kam ich langsam wieder im Hier und Jetzt an. Ständig kamen Menschen zu uns, gratulierten uns und wünschten uns Glück. Ich habe jedem einzelnen tief in die Augen geschaut und gesehen: Die meinen das wirklich ernst. So ernst, wie auch ich es immer meine, wenn ich einem frisch getrauten Ehepaar Glück wünsche. So eine Ehe ist ja aller Liebe zum Trotz kein Kinderspiel. Auf jeden Fall brachten mich unsere Familienmitglieder und Freunde langsam wieder auf den schlichten Boden der Realität zurück. Dieser wurde spätestens in dem Moment wieder etwas härter, als mich mein Mami fragte, und zwar ohne "Hast du dies, Hast du das?", sondern einfach nur trocken: Wo ist eigentlich die Torte?
Luca und ich schauten uns an. Dann lachten wir. Ehrlich, wir lachten. Es war einfach zu unglaublich. Das blödeste Klischee einer Hochzeitspanne, nämlich die fehlende Hochzeitstorte, das sollte uns passieren? Wenn das nicht zum Lachen war... Remo, der Trauzeuge von Luca und Natalies Partner, sagte mir später, dass er sich ab 13 Uhr um praktisch nichts Anderes gekümmert hätte als um diese vermaledeite Torte. Natürlich hatte niemand daran gedacht, die Handynummer des Lieferanten aufzuschreiben. In der Bäckerei wusste das auch niemand. Der Liefere immer für sie, das werde schon klappen, meinte eine Verkäuferin. Remo machte dann die Lieferfirma ausfindig. Natürlich hatten die am Samstag geschlossen. Irgendwie gelang es ihm, die Privatnummer des Inhabers herauszufinden. Der reagierte mit einigem Entsetzen, als er hörte, dass wir immer noch auf die Torte warteten, die schon längstens hätte hier sein sollen.

Te amo, Corazon
Luca und ich liessen uns nichts anmerken. Wir genossen das Fest - unser Fest. Und es war wirklich ein gelungenes Fest, Natalie und Remo hatten ganze Arbeit geleistet. Natürlich hatte die ganze Sache auch ziemlich viel Geld gekostet (man hätte dafür auch ein Auto kaufen können), aber das war es uns Wert.
Schliesslich, als das Dessertbuffet aufgebaut wurde, dämmerte mir, dass ich gar nicht wusste, ob die Torte inzwischen angekommen war oder nicht. Luca und ich scherzten, dass wir dann halt gemeinsam das Musse au Chocolat anschneiden müssten oder den Fruchtsalat. Aber dann ging das Licht aus, der DJ spielte unser Lied: Te amo, Corazon von Prince und die schick gekleideten Kellner fuhren den Wagen mit unserer Torte herein. Die Wunderkerzen sprühten ihren Funkenregen in den abgedunkelten Saal und spätestens da war klar: Unsere Ehe würde unter einem guten Stern stehen. Das tut sie noch heute, auch wenn es gar nicht so lange her ist.

Später erklärte mir Remo, dass sich der Lieferant komplett verfahren habe und in einem Hotel ähnlichen Namens in einer anderen Stadt gelandet sei. Als er seinen Irrtum bemerkte, hätte er trotz allem die Torte in den Eisschrank des falschen Hotels bringen müssen, damit sie nicht ganz auftaute. Nach zwei Stunden warten sei er dann nach Luzern gedüst und habe die schon abgeschriebene Hochzeitstorte im letztem Moment abgeliefert. Remo habe ihm darauf hin einen grossen Cognac spendiert. Schliesslich hatte er vergessen, dem Lieferanten seine Handynummer zu geben...